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Wer ist dein Nachbar?

Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie heute

Wand der 1000 Gesichter. Im Rahmen einer Kunstaktion im Rheinpark Duisburg sind hier rund 1400 Duisburger BürgerInnen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, unterschiedlicher Herkunft, Religion und Bildung an der Außenwand einer Fabrik portraitiert. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Von Barbara Peron

70 Jahre nach dem Holocaust

Die meisten Menschen weltweit glauben, dass man in Deutschland ausreichend vor Vorurteilen gegenüber Juden, Roma & Sinti und Homosexuellen geschützt ist, und zwar gerade aufgrund der Verarbeitung der NS-Vergangenheit. Aber ist es wirklich so?

Laut einer Studie, die in der Zeitschrift der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg Der Bürger im Staat 2015 erschienen ist, sind Homosexuelle, Menschen jüdischen Glaubens sowie Roma und Sinti »als mögliche Nachbar*innen besonders unbeliebt«. Obwohl diese Studie wegen der angeblich unwissenschaftlichen Datenerhebung zum Teil kritisiert wurde, wird die Unbeliebtheit dieser drei Gruppen von anderen Forschungen bestätigt. 75 Jahre nach der systematischen Ermordung von Juden, Roma, Sinti und Homosexuellen durch die Nazis bleiben Antiziganismus, Homophobie und Antisemitismus in Deutschland immer noch ein Problem.

Sinti und Roma, die in sozialer und ökonomischer Hinsicht keine einheitliche Gruppe sind, erleben eine anhaltende Diskriminierung. Sie werden weiterhin als ein problematisches Kollektiv wahrgenommen, das sich von uns, den sozial angepassten Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft, unterscheidet. Trotz der massiven Diskriminierung der Roma in vielen Balkanländern, den unzumutbaren Wohnbedingungen, dem Ausschluss von Arbeitsmarkt und Bildung, geht aktuelle Migrationspolitik davon aus, dass es sich um unerwünschte Armutsflüchtlinge handelt und nicht um politisch Verfolgte.

Hat Deutschland auch heute noch ein Homophobie-Problem? Der Fußballprofi Thomas Hitzlsperger, der sich als erster Bundesligaspieler und Fußballnationalspieler wohlweislich erst nach dem Ende seiner Karriere geoutet hat, brachte es in einer Talkshow auf den Punkt: »Viele Leute wissen nicht, ob sie wirklich so tolerant sind, wie sie tun.« »Schwul« ist ein gängiges Schimpfwort. Laut Umfragen sind Antisemitismus und Homophobie jetzt wieder salonfähig geworden. Der Antiziganismus war nie verschwunden.

Zusammen machen.  Foto: kwasibanane

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Ein hoher Bildungsgrad schützt vor Antisemitismus nicht

Schmierereien, gewaltsame Übergriffe, Gottesdienste unter Polizeischutz, verbale Entgleisungen auch bei Politikern. Judenfeindliche Äußerungen sind nicht mehr allein Sache von Neonazis – auch ganz andere Gruppen neigen inzwischen dazu, wie zahlreiche Umfragen und Studien der letzten Jahre gezeigt haben. Bedenklicher noch als die offenen Angriffe ist der latente Antisemitismus in der Bevölkerung. Schon seit Jahrzehnten lässt sich feststellen, dass antisemitische Einstellung kein Phänomen einer kleinen rechtsextremen Minderheit, sondern häufig in der Mitte der Gesellschaft verortet ist. Außerdem lassen sich bei der negativer Kommentierung von Israels Politik im Nahen Osten oft auch antijüdische Ressentiments ausmachen.

Etwa 15 bis 20 Prozent der Deutschen haben nach einigen Studien latent antisemitische Ansichten. Nach der Forschung von Prof. Alexander Zick von der Universität Bielefeld hegt sogar ein Viertel der deutschen Bevölkerung Antipathien gegenüber Juden und betrachtet Juden und Jüdinnen als irgendwie anders. Dieser alltägliche, subtile Antisemitismus findet sich selbst bei gebildeten Leuten. Die Linguistikprofessorin Monika Schwarz-Friesel, die an der TU Ber­lin unterrichtet, forscht seit Jahren zum Thema Aktueller Antisemitismus. Im Rahmen ihrer Forschung hat sie 14 000 Mails analysiert, die an den Zentralrat der Juden und an die Israelische Botschaft in Deutschland geschickt worden sind, in vielen Fällen von Akademikern. So schreibt z. B. ein Juraprofessor an den Zentralrat der Juden: »Wir Deutschen haben bittere Erfahrungen mit Auserwählten. Sie müssen das wohl noch lernen«. Das sind noch die freundlicheren Empfehlungen. Andere Akademiker werden noch deutlicher: »Ich kenne immer mehr Menschen, die mit Hitlers kranker Idee, Euch auszurotten, sympathisieren. Ist das nicht beängstigend? Diese Leute behaupten sogar, Ihr seid die neuen Nazis. Kann man dies nicht sogar verstehen?« Oder: »Warum werden die Juden immer wieder verfolgt? Das müssen sie sich schon selber fragen. Beim nächsten Holocaust beginnt das Gejammer wieder von vorn. Ich habe die Schnauze voll«. Ein hoher Bildungsgrad, meint Schwarz-Friesel, schützt vor Antisemitismus nicht. Die Stereotypen gegenüber Juden, derer Akademiker sich in ihren Mails bedienen, sind dieselben, die man auch in breiteren Schichten der Bevölkerung findet. Juden gelten als Kindermörder, als Wucherer, als rachsüchtige Intriganten, als Weltverschwörer und werden als extrem einflussreich beschrieben. 16,5 Prozent der Deutschen stimmen der Behauptung zu: »Der Einfluss von Juden in Deutschland ist sehr groß«. Doch nur 0,2 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Juden. Gerade diese Stereotypen, die historische Gründe haben, führen nach Schwarz-Friesel dazu, dass Juden immer als die Anderen gesehen werden. Diese versteckten Wege der Judenfeindlichkeit sind immer neu und deswegen auch schwierig zu erkennen, ebenso wie auch die anderen Formen von Xenophobie. Ist es nicht die Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft, diese auch in den neuen Erscheinungsformen zu bekämpfen?

Doch eine große Mehrheit der Bevölkerung möchte gern unter das »abgelutschte Thema« NS-Vergangenheit einen Schlussstrich ziehen. Warum? Weil man diese Schande loswerden möchte? Eigentlich sollte man diese Erinnerung auf neue Art verarbeiten, um sie für eine sich wandelnde vielfältige Gesellschaft zugänglich und verständlich zu machen.

Wand der 1000 Gesichter. Im Rahmen einer Kunstaktion im Rheinpark Duisburg sind hier rund 1400 Duisburger BürgerInnen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, unterschiedlicher Herkunft, Religion und Bildung an der Außenwand einer Fabrik portraitiert. Foto: kwasibanane

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