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Schwule Stühle sind auch nur Stühle

Das Leben in Schubladen

Von Carina Utz

»Die Schwulen kommen!« ist eine immer wiederkehrende Begrüßung, die durchs Gebäude hallt, sobald wir eine Schule betreten. Wir, das ist das Team von FLUSS e.V. dem Verein für Bildungsarbeit zu Geschlecht und sexueller Orientierung.

Mehrmals im Jahr besuchen wir Freiburger Schulklassen, um mit den Schülern und Schülerinnen über Lebensweisen zu sprechen, mit denen sie im Alltag vielleicht nicht so oft in Berührung kommen. Wir sprechen über Frauen, die Frauen lieben, Männer, die Männer lieben. Auch über Menschen, die nicht mit der Identität leben, die ihr biologisches Geschlecht vorgibt – sogenannten Trans_Menschen. Jeder hat Bilder im Kopf, wenn man an Lesben, Schwule oder Trans_Sexuelle denkt. Bilder, die nicht selten von Medien geprägt sind: Schwule werden häufig als Männer dargestellt, die enge Glitzeroberteile tragen, Stunden im Bad verbringen, total zickig, aber dennoch bestens dazu geeignet sind, beste Freunde zu sein. Lesben tragen Kurzhaarschnitt, arbeiten als KFZ-Mechanikerin, spielen Fußball und haben als Kind lieber mit Autos als mit Puppen gespielt.

Lehrer und Lehrerinnen laden uns als Verein in ihre Schulklasse ein, um genau an und mit diesen Vorurteilen zu arbeiten. Wir werden aus der Überzeugung heraus empfangen, dass Betroffene die Klischees, die über sie bestehen, am besten auflösen können – aber auch aus Hilflosigkeit. Einige können gegen homophobes Klima in ihrer Klasse nichts machen, andere denken, sie werden durch das intensive Bearbeiten der Problematik vielleicht selbst für schwul oder lesbisch gehalten. Auch ein hoher Anteil von SchülerInnen mit Migrationsgeschichte in der Klasse macht es einigen LehrerInnen schwer, Vielfalt von Geschlecht zu thematisieren, weil sie dieser Gruppe erhöhte Homophobie zuschreiben.

Was früher Nigger oder Spasti gerufen wurde, ist heute schwul. Alles was nicht gefällt, uncool oder blöd ist, wird als schwul tituliert – vor kurzem durften wir sogar einen schwulen Stuhl kennenlernen. Auch wenn dieser Ausdruck in den meisten Fällen nicht böswillig benutzt wird und auch die Gruppe der Schwulen damit nicht herabgesetzt werden soll, hat die Nutzung dennoch seine homophobe Wirkung. So haben uns schon einige SchülerInnen anvertraut, dass sie sich und ihr Eingeständnis homosexuell zu sein, oft in Frage gestellt haben und ihre Schule für sie nicht der geeignete Ort für ein Outing darstelle.

»Du bist schwul? Aber du bist doch ein Ausländer, oder!?«. Türkische LGBT beim CSD in Freiburg. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Schublade auf – Schublade zu

Bevor wir die Schulklassen besuchen, erhalten die SchülerInnen von uns Fragebögen, die sie anonym ausfüllen. Es fallen Sätze wie: »Mann mit Frau ist normal. Alles andere gehört vergast«, »Schwule sind eklig, Lesben sind geil«, »Sie sollen leben wie Sie wollen, aber was ist da in der Kindheit schief gelaufen?«, »Lesben erkennt man an ihrem männlichen Auftreten, Schwule bewegen sich feminin«.

Ich arbeite seit 2008 bei FLUSS e.V., doch, wenn man solche Sätze von 14-Jährigen liest, machen diese mich noch immer sehr betroffen. Ich denke an meine Frau, die gerade mit unseren Kindern beim Einkaufen ist und frage mich, warum Jugendliche so über Menschen denken, die sich lieben, die Familie sind. Sicherlich liest man auch genug Positives, was die Freude auf den bevorstehenden Besuch in einer Schulklasse wachsen lässt, doch negative Sätze brennen sich ins Gehirn. Insgeheim weiß ich, dass solche Aussagen reine Reproduktion von elterlicher Meinung sind, vielleicht auch nur Unwissenheit, Unsicherheit und Angst, sich dem Thema zu stellen.

Als ich vor sieben Jahren mit der Arbeit begonnen habe, mein Privatleben gegenüber mir unbekannten Menschen in einer Schulklasse preiszugeben, meine Coming-Out-Geschichte, Ängste und Erfahrungen zu teilen, hat es mich große Überwindung gekostet. Ich hatte Vorurteile. Vorurteile gegenüber Menschen, die ich nicht kannte, Vorurteile gegenüber Menschen, die ich als potentielle Bedrohung und Gefahr für mich als lesbische Frau einstufte. Vorurteile, die ich für mich als Selbstschutz wählte. Und so durchschlich mich regelmäßig ein ungutes Gefühl, wenn der Anteil an SchülerInnen mit Migrationsgeschichte in einer Schulklasse überdurchschnittlich hoch war. Das Frauenbild muslimischer SchülerInnen, die angenommenen koranbedingten Meinungen zu Homosexualität und die Unwissenheit gegenüber anderen Kulturen und Religionen, formten die Annahme, als Person auf Abwehr zu stoßen.

Die direkte Begegnung mit SchülerInnen hat mir gezeigt, dass diese Klischees reine Willkür sind und die einzig richtige Linie zwischen toleranten Menschen und homofeindlichen Gruppen gezogen werden muss. Aspekte wie Alter, Hautfarbe, Religion und Bildungsstand sind nur in den wenigsten Fällen auslösende Faktoren für homofeindliche Gewalt. Diese Voreingenommenheit hat mir gezeigt, welchen Hintergrund Vorurteile und Klischees haben. Medien, nur vereinzelt eigene Erfahrungen, bilden Schubladen, die sehr einfach geöffnet und gefüllt werden können. Nur selten haben Menschen den Mut, Schubladen neu zu gestalten. Einfacher ist es, diese vollzupacken und schnell wieder zu verschließen.

Verliebt in Vielfalt. Auf dem CSD in Freiburg. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

FLUSS e.V. in Schulen

»Du bist schwul? Aber du bist doch ein Ausländer, oder!?« wird ein Mitarbeiter von FLUSS e.V. gefragt, der sich mit einer dunkleren Hautfarbe gerade als schwul geoutet hat. »Ja, denkst du etwa, es gibt keine schwulen Türken?«, kontert dieser. Menschen mit Migrationsgeschichte sind nicht homosexuell oder transsexuell – es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dieses Leitprinzip ist oft fest verankert in den Köpfen der Jugendlichen.

»Und wer ist bei Euch der Mann?« fragt mich eine Achtklässlerin. Ich mache die Schülerin darauf aufmerksam, dass sie eine Reihe von Klischees in sich trägt und kläre sie mit einigen Rückfragen zu ihren Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit auf.

Schwule, Lesben, Transsexuelle würden eben nicht diesen Bildern entsprechen. Schwule seien weich, aufs Äußere bedacht, sensibel, eben eher kein richtiger Mann. Fragt man jedoch ganz konkret danach, was Weiblichkeit und Männlichkeit ausmacht, schreien die SchülerInnen schon bei der Aufzählung der Klischees laut auf und wollen sich damit nicht identifizieren.

Der direkte Kontakt mit uns als Menschen, die geschlechtliche Vielfalt vertreten, bestärkt die kritische Haltung zusehends. Die SchülerInnen lernen uns als Menschen kennen, die so gar nicht den Klischees und Bildern entsprechen, die sie in sich tragen.

Wenn die SchülerInnen in der Rückmelderunde feststellen »Ihr seid ja doch irgendwie ganz normal«, muss ich schmunzeln. Wir scheinen uns begegnet zu sein. Denn es ist doch so wie man es auch bei sich selbst oft beobachtet: Die Begegnung mit dem Unbekannten eröffnet uns den Blick auf den Menschen selbst. Und dann werden Dinge wie Herkunft, Religion, oder die Tatsache, wen dieser Mensch liebt, unbedeutend.

Human Rights are my Pride. Auf dem CSD in Freiburg. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

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