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Je mehr Stadt desto mehr Diversität

Urbanität und Migration

In der Stadt nutzen Neuankömmlinge den öffentlichen Raum auf eine andere Art als wir es gewohnt sind. Straßenszene im Einwandererviertel Noailles in Marseille. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Von Viktoria Balon

Urbane Normalität

Manchester oder Düsseldorf, Mumbai oder Lima – Stadt war historisch immer ein Schmelztiegel, eine Kreuzung von Traditionen und Veränderungen, Ort der Begegnung zwischen Ansässigen und Migranten. Die moderne globale Stadt ist noch mehr » … die Stadt von erwarteten und unerwarteten Begegnungen, genau DER Ort des Treffens mit Anderen« schreibt Kulturgeographin Prof. Jane Jacobs von der Universität Edinburgh in Cities of Difference. Eine ganze Wissenschaft beschäftigt sich damit: Stadtethnologie oder Urban Anthropologie, hier entstehen neue Worte wie Cosmopolis, Multiplex City oder DiverCity.

Die Städte leben und wachsen durch Zuwanderung. Der größte Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund lebt in Frankfurt/Main (43 %), Stuttgart (38 %) und Nürnberg (37 %). In absoluten Zahlen leben am meisten Zuwanderer und ihre Nachkommen in Berlin (861.800), München (532.000) und Hamburg (482.000). Nach dem Migrationsbericht der Bundesregierung 2015 kommen die meisten Großstädter ohne deutsche Staatsbürgerschaft aus Staaten der Europäischen Union, nämlich 41,7 %; aus der Türkei kommen 18,8 %.

Seit 2013 liegt die Zahl der Zuwan­derer nach Deutschland erstmals seit 20 Jahren wieder über der Zahl der Fortzüge. Vor allem die Großstädte sind ihr Ziel, was einige Alteingesessene beunruhigt. Es ist nicht das erste Mal, dass Zuwanderung nicht als städtischer Normalfall, sondern als Ausnahme und Bedrohung wahrgenommen wird, sagt Livi Bacci, einer der führenden Experten für Bevölkerungswanderung und Demographie in seiner Kurzen Geschichte der Migration aus dem Jahre 2015. Neuankömmlinge bewirkten schon immer Veränderungen in den Städten, in denen sie Fuß fasten, durch demografischen Wandel, durch Import von Innovationen oder schlicht aufgrund höheren Tatendrangs. »Wenn wir das hohe Lebensniveau in Europa halten wollen, müssen wir Einwanderung erleichtern«, so seine Schlussfolgerung. Migration bringt also frischen Wind und gleichzeitig schafft sie Spannungen und neue schwierige Aufgaben für eine Stadt.

Von der »Diaspora-City« zur Gentrifizierung

Ein Grund für Ängste und Spannungen ist Hypervisibility – Über-Auffälligkeit von Migranten und ihre unkonventionelle Nutzung des städtischen Raumes. Die italienischen Soziologen Adriano Cancellieri und Elena ­Ostanel beschreiben es am Beispiel eines Viertels um den Bahnhof in Padua, wo sich Migranten verschiedener Ethnien versammelten und Geschäfte machten – bis die Medien mit »moralischer Panik« und die Polizei mit übertriebener Kontrolle reagierten. Solch repressive Intervention zerstöre urbane Begegnungsmöglichkeiten, die Stadtpolitik solle sich darüber bewusst werden. Die Wissenschaftler stellen nun die Frage über das Recht der Neuankömmlinge auf öffentlichen Raum und ob unsere gewöhnliche Nutzung der öffentlichen Orte die einzig richtige ist.

Als Abwehr gegen den dominanten Auftritt der Mehrheitsbevölkerung sucht man dann Diaspora-Orte. Es gibt Stadtteile, wie etwa Berlin-Neukölln, München Milbertshofen-Am Hart oder das Frankfurter Gallus-Viertel, wo der Anteil der MigrantInnen bei mindestens 50 Prozent liegt. In England gab es eine Zeit der Politik der städtischen Integration von ethnischen Minderheiten in ihre Gemeinden, so Laura Vanhue in ihren Aufsatz Migration – Stadt im Wandel. Es wurde argumentiert, dass das Ankommen in die eigene Zuwanderergruppe die Integration erleichtere: Diese vermittele Alltagswissen und biete Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche. In Frankreich allerdings versuchte man Ballungen dieser Art zu vermeiden; dort gab es Programme zur Bekämpfung der Verschlechterung der Vorortstadtteile. Leider nicht immer erfolgreich.

Doch während sich einige Migran­tengruppen immer noch auf bestimmte Wohngebiete konzentrieren – wie z. B. Türken in Kreuzberg, entwickeln sich daneben schon seit Anfang der achtziger Jahre andere Tendenzen. Migranten gründeten interkulturelle Vereine und Selbsthilfeprojekte, die ihre Interessen vertreten. Sie vernetzen sich unabhängig von Wohnort und bevorzugen Wohnviertel, die multikulturell, aber nicht von einer Ethnie dominiert sind. Dort entwickeln sie »Vorgehensweisen, die einerseits das städtische Angebot verändern und anderseits den ›informellen‹ Raum und die städtischen Nischen aufwerten können.«

Jedoch ziehen solche gemischten Migranten-Stadtteile wie z. B. Prenzlauer Berg in Berlin oft erst Künstler, dann junge Mittelklasse-Familien an, werden dann immer mehr hip und somit immer attraktiver für Investoren. Emma Jackson zeigt in ihrem Aufsatz Middle Classes, Discomfort and the Multicultural City am Beispiel des afrikanisch geprägten South London die Undichtigkeit des Multikulturalismus gegen Gentrifizierung als Bestandteil eines kosmopolitischen Alltags. Stadtethnologen sind sich einig: »Es lässt sich feststellen, dass die Stadtentwicklungspolitik die Bedeutung von Migration als Thema bislang nur fragmentarisch erkannt hat.«

Erfinderisch und transnational

Das Thema des Wissenschaftsjahres 2015 war die Zukunftsstadt. Eines der Forschungsprojekte, das innerhalb dieses Rahmens präsentiert wurde, sieht »die Migration und Diversität als urbane Ressource« so Erol ­Yildiz, Professor der Soziologie an der Universität Innsbruck. »Jede dritte Lebensgeschichte in Großstädten wie Berlin, Wien oder Köln ist mittlerweile von Migration geprägt«, sagt er. Seine Studie Diversität ist die Lebenspraxis zeigt auf, wie Menschen, die mehrere Heimaten und Zugehörigkeiten haben, vielfältige Lebensentwürfe aufweisen, die über das Lokale und Nationale hinausgehen und den Alltag vor Ort mit der Welt verbinden. So entstehen neue urbane Räume, die neue Verortungsstrategien ermöglichen. Durch transnationale Netzwerke entwickeln sich innovative Kompetenzen, soziales und kulturelles Kapital wird akkumuliert. »Städte sind Orte der Diversität, und je mehr Diversität, desto mehr Stadt«.

Die Stadt der Zukunft. In der Megacity Athen/Pireus lebt mehr als die Hälfte der griechischen Bevölkerung.. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

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