Transnationales Europa: mit oder ohne Katastrophe?
Ein Gespräch mit Robert Menasse – Teil 2
Robert Menasse im Gespräch mit RedakteurInnen der InZeitung (Viktoria Balon, Carmen Luna, Melisa Mustafovic, Alexander Sancho-Rauschel, Reinhardt Jacoby, Ketevan Bakhia und Joseph Dreier). Zusammengestellt von Susanne Einfeld.
Karmelitermarkt, Leopoldstadt, der Zweite Bezirk in der Metropole des Ex-Habsburgerreiches. Die Redaktion der InZeitung hat sich hier während ihrer Wien-Reise mit Robert Menasse getroffen. Der erste Teil des Gesprächs ist hier zu lesen.
Im Vorfeld der Landtagswahl publizieren wir Teil 2 des Interviews mit Robert Menasse, für den es keine nationale Alternative weder für Deutschland noch für die andere Länder in Europa gibt, weil es die Geschichte lehrt, zum Beispiel die des Habsburger Reiches.
Sie nennen das Habsburgerreich Transnationale Monarchie, und ich habe in der Schule in Russland gelernt, es wäre ein Kerker für die Völker gewesen. Wie kommen sie dazu als linker Schriftsteller?
Robert Menasse: Ich habe das ja auch so gelernt: der Völkerkerker. Das Habsburgerreich wurde in der Schule immer so genannt, und wir haben dazu genickt und diesen Begriff nie hinterfragt. Aber was sagt dieser Begriff eigentlich aus? Er sagt nicht, dass Menschen unterdrückt waren, sondern Völker. Was heißt unterdrückt? Gemeint ist: sie hatten keine nationale Souveränität. Der Begriff Völkerkerker war ein ideologischer Kampfbegriff der Nationalisten. Die Nationalisten haben das Habsburgerreich schließlich in die Luft gesprengt.
Und dann ist etwas sehr Interessantes zu beobachten: Alle so genannten Völker, alle Kronländer haben dann ihre jeweils eigene Nation gebildet und rückblickend müssen wir feststellen: keine einzige dieser Nationen hat nach dem Ende der Habsburgermonarchie einen einzigen Tag in größerer Freiheit und größerem Wohlstand verbracht als zuvor, sondern haben nur Diktaturen erlebt, Faschismus und Stalinismus, Unterdrückung und Misere – und haben erst wieder Menschenrecht, Demokratie und Wohlstand begonnen zu entwickeln als sie in die transnationale europäische Union eingetreten sind.
Sie hatten im transnationalen Habsburgerreich einen gemeinsamen Rechtszustand gehabt, der auch Minderheiten Schutz und Rechtssicherheit bot, einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung und gemeinsame Infrastruktur, also Grundlagen für wachsenden Wohlstand – und sie haben das erst dann wieder gehabt, als sie in die transnationale Gemeinschaft der europäische Union eingetreten sind. Dass man da immer noch Nationalist sein kann, ist mir unbegreiflich.
Die österreichische Monarchie hat, anders als die christlichen Nationalstaaten, die aus der Monarchie hervorgegangen sind, den Islam als Religion anerkannt, die erste Moschee im Europa der Moderne wurde in Wien gebaut, und auch die Juden haben staatlichen Schutz genossen. Das Habsburgerreich war eine polyglotte multiethnische friedliche politische Konstruktion, die keine Nationsidee hatte – auch keine haben wollte – und einen allgemeinen verbindlichen Rechtszustand für alle garantiert hat, egal, ob du in Galizien gelebt hast oder in Tirol. Es gab Reise- und Niederlassungsfreiheit und niemand brauchte einen Pass. Was wir heute für historische Errungenschaften der EU halten, war im alten Österreich nicht nur bereits Realität, sondern zum Teil sogar entwickelter als heute. Zum Beispiel die gemeinsame Währung: im Vielvölkerstaat galt der Gulden für alle, aber in der EU gibt es Mitgliedstaaten, die bei der gemeinsamen Währung, dem Euro, nicht mitmachen. Oder die Fiskalpolitik: im alten Österreich gab es ein gemeinsames Steuersystem, in der EU besteht jedes Land auf ein eigenes Fiskalsystem und unterschiedliche Steuersätze, dabei wäre eine gemeinsame Fiskalpolitik unabdingbar, wenn man eine gemeinsame Währung hat.
Die Habsburgermonarchie hat natürlich viele Probleme und Fehler gehabt – am Schluss war das Hauptproblem wohl der greise und vollkommen vertrottelte Kaiser. Und es gab natürlich auch Misere und Armut, aber die gab es weltweit zu Beginn der Industrialisierung, das war kein Spezifikum der Habsburgermonarchie. Allerdings gab es eine starke Arbeiterbewegung, also hätten sich soziale Errungenschaften auch im Vielvölkerstaat erkämpfen lassen. Für die heutige Europäische Union gibt es im Grunde drei große historische Vorbilder im Hinblick auf die Frage »Funktioniert ein transnationaler multiethnischer polyglotter politischer Konsens?«
Erstens war das die Habsburgermonarchie, zweitens Jugoslawien, drittens die Schweiz.
Die Schweiz zeigt heute – zwar mit vielen Problemen und Widersprüchen – dass es möglich ist: mehrere Sprachen, mehrere Kulturen, der Kanton ist dort identitätsstiftend und wichtiger als die Nation. Die Nationalflagge, das weiße Kreuz, ist eher ein Logo für Schweizer Produkte.
Und in Jugoslawien hat es auch irgendwie so funktioniert. Der gemeinsame Rechtszustand und die gemeinsamen Rahmenbedingungen sind für viele Menschen dort rückblickend etwas schmerzhaft Verlorenes – Nach der Erfahrung mit dem Nationalismus und dem Bürgerkrieg sagt doch kein normaler Mensch dort heute: »Dass wir auf einander geschossen haben und uns gegenseitig die Häuser ausgebombt haben, war eigentlich viel besser, als vorher, als wir friedlich zusammengelebt haben«. Als sie dann in ihren zerbombten Ruinen saßen, wollten sie möglichst schnell in die EU, also wieder in eine transnationale Gemeinschaft eintreten, die ihnen Schutz, Wohlstand und Frieden bietet – so viel zu den Glücksversprechen des Nationalismus.
Ist die EU ein tragfähiges Modell für so was?
Der Nationalismus ist für mich zweifelsohne der größte Aggressor der Moderne.
Und er hat diesen Kontinent in Schutt und Asche gelegt, und zwar nachhaltig. 1913 hat Stefan Zweig gesagt: »Wir erleben jetzt und in nächster Zukunft den Entscheidungskampf zwischen einem geeinten, brüderlichen Europa und einem Europa der Nationen.« Und wir wissen, wie es ausgegangen ist. 1940, knapp vor seinem Selbstmord, hat Stefan Zweig gesagt: »Nationalismus hat die Europäische Zivilisation zerstört.«
Nach 1945 hat man aus der Erfahrung die Konsequenz gezogen und gesagt, wir versuchen ein nachnationales Europa, mit supranationalen Institutionen aufzubauen. Europa ist das einzige Projekt weltweit, das ganz bewusst Konsequenzen aus den historischen Erfahrungen gezogen hat, oder zu ziehen versuchte.
Überall dort, wo sich Nationen nicht selbst in Frage stellen und im Ernst glauben, dass es tatsächlich so etwas wie nationale Interessen gibt, sehen wir, dass jederzeit Bereitschaft besteht, diese Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das zeigen die USA, das zeigt Russland, das ist blutige Retro-Politik, Europa ist – oder wäre – der Idee nach Avantgarde.
Europa rutscht allmählich nach rechts. Was viele rechte Parteien predigen geht gegen die Grundprinzipien der Aufklärung und die Gründungsprinzipien der Union. Wie könnte man letztere gegen diese zerstörerischen Stimmen und Renationalisierung verteidigen?
Die Erfahrung über viele Jahrhunderte hinweg ist, dass die tatsächliche Identität der Menschen sich definiert über ihren Lebensort, über ihre Region. Regionen sind historisch gewachsene Kulturräume. Nationen sind willkürlich vereinigte Regionen auf einem Territorium mit willkürlich gezogenen politischen Grenzen. Selbst ein Deutscher weiß: Ein Bayer ist kein Preuße. Das ist ganz einfach! Wenn ein Deutscher sich die Frage stellen würde: Wo sieht man denn die deutsche Nation? Dann müsste er zugeben: bei der Fußballweltmeisterschaft und auf der Wetterkarte im Fernsehen. Sonst nirgends. Was soll das sein, die deutsche Nation? Die Nation aller Deutschsprachigen? Ich spreche Deutsch, aber bin kein Deutscher. Die deutsche Kultur? Ist meine Kultur. Aber wie gesagt, ich bin kein Deutscher. Aber ich habe mich auch nie als Österreicher gefühlt, mein ganzes Leben habe ich nicht verstanden, was das sein soll: Österreicher?
Vierzig Minuten entfernt von Wien ist Bratislava, die Hauptstadt einer anderen Nation – wie absurd ist das denn?
in der Habsburger-Monarchie gab es eine Straßenbahn von Wien nach Bratislava. Jetzt soll mir jemand erklären, warum ich mit einem Vorarlberger, zu dem ich acht Stunden mit dem Zug hinbrauche, auf Grund eines gemeinsamen Passes mehr grundsätzliche Solidarität haben soll, als mit den Menschen in Bratislava, die 40 Minuten entfernt sind. Aber es ist ja nicht nur die Entfernung – Wien ist eine Stadt, und Bratislava ist eine Stadt. Da gibt es mehr Gemeinsamkeiten als mit den Bergen in Vorarlberg oder in Tirol. Die Selbstdarstellung Österreichs läuft immer über Land der Berge, Alpenrepublik. Aber in Wien gibt es keine Berge. Ich habe mit dieser nationalen Selbstdefinition nichts zu tun. Ich bin überhaupt der Meinung, Berge sind eigentlich ein Fehler der Schöpfung! Was ist das Wesen von Bergen? Es ist mühsam rauf zu kommen und oben ist es unwirtlich.
Ich bin Wiener. Und dann auch noch Niederösterreicher, das ist die Region da um Wien herum, da ist kein Berg zu hoch, es gibt Wald und Wiesen und Wein und alles Mögliche, alles sehr harmonisch, ich kenne die Mentalität der Menschen, die Gerüche, die Lichtverhältnisse ... hier fühle ich mich zu Hause, das ist Heimat.
Ich brauche für Heimat und Zugehörigkeit keine Nation. Die Region stiftet Identität und Heimatgefühl, und Regionen haben noch einen Vorteil: alle europäischen Regionen sind etwa gleich groß, sie haben die ideale Größe, um als politische Verwaltungseinheiten zu funktionieren und den Menschen politische Partizipation zu ermöglichen, und jede Region ist für sich zu klein, um im Ernst zu glauben, dass sie in einem Alleingang und gegen andere überleben kann.
Baut man hingegen das vereinte Europa als Bund von Nationalstaaten auf, hat man schon alleine durch die Größenunterschiede der verschiedenen Staaten enorme Widersprüche. Wie soll ein Gleichheitsgrundsatz der europäischen Bürger gelten, wenn es schon so einen deutlichen Unterschied in Hinblick auf Lebenschancen macht, ob ich Bürger des großen und mächtigen Deutschland bin, oder ein Zypriote, Bürger einer halben kleinen Insel. Und deshalb bin ich für ein Europa der Regionen. Walter Hallstein, ein Deutscher, der erste Vorsitzende der Europäischen Kommission hat in seiner Antrittsrede gesagt: »Ziel und Absicht des europäischen Einigungsprojekts ist die Überwindung der Nationen« und: »Regionalpolitik ist der Kern von Europapolitik« – die heutigen nationalen Staats- und Regierungschefs in Europa haben das vergessen oder nie begriffen. Sie wissen nur eines: gewählt werden sie nur national, und deshalb müssen sie gegenüber ihren Wählern immer diese Fiktion aufrecht erhalten, dass sie nationale Interessen vertreten, was immer die auch sein sollen. Sie fliegen nach Brüssel zum europäischen Ratsgipfel, blockieren gemeinsame Europapolitik, fliegen nach Hause und sagen den jubelnden Analphabeten: Wir lassen uns von Brüssel nichts vorschreiben. Das ist der ganze Rechtsruck.
Also, Sie vertreten regionale Identität statt nationaler. Wir erleben jetzt jedoch eine Renationalisierung nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf politischer Ebene, auch in der EU.
Wir haben diese Renationalisierung aus ganz einfachem Grund: Die nachnationale Entwicklung ist bis zu einem bestimmten Punkt gegangen und ist auf einen Widerspruch gestoßen. Wir haben jetzt schon ein überraschend weit entwickeltes nachnationales Gebilde, in dem alle Mitgliedsstaaten nationale Souveränitätsrechte an die supranationalen Institutionen abgegeben haben. Aber nicht die Entscheidenden: Fiskalrecht nicht, Budgetrecht nicht, Außenpolitik nicht, Sicherheitspolitik nicht – die dicken Brocken noch nicht.
Seit dem Lissabon-Vertrag ist die mächtigste Institution in Brüssel der Europäische Rat. Das ist das Treffen der nationalen Staats- und Regierungschefs. Und es kann nichts beschlossen werden in der Europäischen Union, wenn der Rat nicht zustimmt.
Im Rat werden die nationalen Interessen der Mittelstaaten verteidigt. Egal, was man nun beschließen wollte oder müsste: es gibt garantiert drei, die sagen: Das widerspricht unseren nationalen Interessen! Diese Blockade ist es, die zu den Krisen führt.
Die Eurokrise zum Beispiel. Man führt eine Währung ein – und jeder Mensch weiß, eine gemeinsame Währung braucht auch eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Der englische Regierungschef sagt: »Wir sind gegen eine gemeinsame europäische Finanzpolitik! Wir haben kein Interesse daran, dass Brüssel den Finanzmarkt London City kontrolliert oder gar reguliert.« Die Deutschen verstehen das Argument der Engländer sehr gut, sie verteidigen die Freiheit des Finanzmarkts Frankfurt. Und damit war das Projekt der gemeinsamen Finanzpolitik schon gestorben.
Für eine gemeinsame Währung bräuchte es auch eine gemeinsame Fiskalpolitik. Da sagen nun die Polen: »Nein, wir sind dagegen, weil wir Kapital ins Land holen, indem wir Steuerbefreiung versprechen!« Und die Luxemburger sagten: »Wir geben noch mehr Steuernachlässe, damit die Konzerne nicht nach Polen gehen!« So kam es, dass der Euro ohne die notwendigen begleitenden Maßnahmen eingeführt wurde – und noch schlimmer: so kam es, dass wegen dieser Steuerkonkurrenz heute überall in den nationalen Budgets Geld fehlt, für Soziales, für Bildung, für Gesundheit, für Pensionen, überall muss gekürzt werden, woran man sieht: die so genannte Verteidigung nationaler Interessen führt zu Misere in den Nationen, und nur zu Gewinnen der Konzerne und der ökonomischen und politischen nationalen Eliten.
Und die Geschichte mit den Flüchtlingen?
Die Unfähigkeit, die großen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen in Europa zu managen, ist kein europäisches Problem: Die Europäische Union hat kein Mandat das zu machen. Warum? Weil die Nationalstaaten es nicht geben! Im März 2015 gab es den Ratsgipfel der europäischen Innenminister, wo auf der Basis eines Papieres von der Europäischen Kommission eine koordinierte Flüchtlings- und Migrationspolitik für ganz Europa beschlossen werden sollte. Aber Österreich, Deutschland, Tschechien, Polen, Ungarn haben ein Veto eingelegt. Jeder hat geglaubt, man kann das Problem klein halten und sich abschotten. Die österreichische Innerministerin ist zurückgekommen, sofort zum Fernsehen gefahren und gesagt: »Ich habe gute Nachrichten, liebe Österreicher und Österreicherinnen, ich habe heute verhindert, dass es eine gemeinsame Europäische Flüchtlingspolitik gibt. Wir lassen uns von Brüssel nicht vorschreiben, wie viele Flüchtlinge wir aufzunehmen haben!« Sie hat geglaubt, sie kann durch diesen dummen Rechtspopulismus und Nationalismus wieder Wähler von den Freiheitlichen (sozusagen der österreichischen AfD) zurück holen. Als Resultat gibt es keine koordinierte Flüchtlings- und Migrationspolitik. Jetzt kann jeder machen was er will und für jeden ist das Problem zu groß! Wir hätten Aufnahmezentren, menschenwürdige Unterkünfte, ein System der Verteilung und Integration der Flüchtlinge, der Familienzusammenführung, – es war alles in dem Papier drin! Nicht Europa ist gescheitert, sondern wieder hat Nationalismus Europa verhindert. Und dann bekommen Hass und Aggression die Oberhand und dann sagen die Leute noch, »wir müssen noch konsequentere, noch radikalere Nationalisten wählen, weil man sieht, dass Europa nicht funktioniert«. Aber Europa funktioniert wegen der Nationalisten nicht, die Leute wählen ihren eigenen Untergang.
Es gibt zig Beispiele, wie der Europäische Rat ununterbrochen Blockaden in der vernünftigen Entwicklung der Europäischen Union produziert. Die Staats- und Regierungschefs versprechen ihren Wählern, dass sie in Brüssel ihre nationalen Interessen vertreten, dann finden sie keine Gemeinsamkeit, was ja das Wesen von nationalen Interessen ist, die Wähler sehen nur, dass Europa nicht funktioniert, und verlangen einen noch konsequenteren nationalen Alleingang, und so schaukelt sich das auf. Die Renationalisierung in der Europäischen Union passiert auf Grund dieses Widerspruchs. Würde man aber die Souveränität des Menschen anerkennen, und davon ausgehen, und nicht von der Souveränität der Nationen, dann wäre doch völlig klar: Was soll ein Mensch im Alentejo für radikal andere Interessen in Hinblick auf ein Leben in Würde und Freiheit haben, als ein Mensch am Peloponnes, oder ein Mensch in Hessen? Was kann ein Mensch in Thüringen für Interessen haben, die zugleich auch exklusiv die Interessen aller Deutschen sind, die aber ein Mensch in der Normandie oder in Kalabrien nicht hat oder nicht haben kann? Was also wird verteidigt, wenn »nationale Interessen« verteidigt werden? Für die meisten Menschen im Grunde ein irrationales Selbstgefühl, das zunächst lächerlich ist und irgendwann mörderisch wird.
Und wie siehst du die Zukunft von Europa? Haben die Nationalisten und die Rechte Chancen?
Nein, sie haben keine Chancen. Die einzige Chance, die sie haben ist kurzfristig zu siegen und dann unterzugehen. Wann immer Nationalisten gesiegt haben- seit Beginn der Nationalen Bewegungen- haben sie ihre Nationen in den Untergang geführt. Gerade Deutsche sollten das wissen. Erst haben sie mit Blut, Schwert und Tränen ihre Nation gebildet, sofort einen nationalistischen Krieg gegen Frankreich begonnen, Kolonien zu erobern versucht, Menschenrecht gebrochen, haben einen machtpolitisch motivierten Weltkrieg ausgelöst, millionenfaches Leid produziert, eine unermessliche Anzahl von Toten, dann Bürgerkrieg, Faschismus, zweiter Weltkrieg, die grauenhaftesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Dann ist die Nation geteilt worden, den Westdeutschen ist von den Siegermächten die Demokratie geschenkt worden – und ausgerechnet das halten sie jetzt für eine nationale Errungenschaft? Die da jetzt »Wir sind das Volk!« grölen, wissen nicht einmal, was Demokratie ist. Demokratie funktioniert nur auf der Basis der Anerkennung der Universalität der Menschenrechte. Die völkischen Wir-sind-das-Volk-Demokraten glauben, dass die Menschenrechte nur für die Inhaber des richtigen nationalen Passes gelten, und da auch nur für die Mehrheit – dass das heute wieder politisch wirksam werden kann, ist gespenstisch!
Nein, die Frage ist: Wird die bewusste Gestaltung eines nachnationalen Europas, auf der Basis universaler Anerkennung der Menschenrechte und wahrer Demokratie, fortschreiten, oder wird diese Entwicklung noch einmal durch eine Katastrophe unterbrochen. Sollte es wieder zu einer Katastrophe kommen, werden vor rauchenden Trümmern die Idioten wieder sehr kleinlaut sein, man wird eine Lehre daraus ziehen und noch einmal mit dem Aufbau eines nachnationalen Europa beginnen. Die Frage ist also: kommen wir ohne Katastrophe oder erst nach einer neuerlichen Katastrophe weiter?