Was ist für dich Kindheit?
Zwischen Krieg und Frieden
Von Maria Greshake
Was ist für dich Kindheit, Larin (Name geändert), frage ich das 14-Jährige Mädchen, das mit ihren vier Geschwistern und ihren Eltern in einem Zimmer im Flüchtlingwohnheim der Bissierstraße untergebracht ist und regelmäßig am Fußball-Angebot für die Mädchen teilnimmt.
Wir besuchten gerade mit zehn Kindern als Ferienaktion das Aquarado in Bad Krozingen. Ob beim Rutschen, Springen oder Handstandmachen im Wasser – ihr Grinsen ist breit und ansteckend. Auf dem Fußballplatz erlebe ich Larin aber auch oft mit einem trüben und traurigen Gesichtsausdruck, wenn nur wenige Mädchen zum Spielen gekommen sind, wenn ich nicht ganz pünktlich bin oder wenn dann die Jungs mitspielen und nicht abspielen. Dabei ist sie eine durchaus lebhafte Person, emotional und resolut, aber auch tatkräftig.
Als wir vor einiger Zeit zusammen Döner machten, ermahnte sie alle Kinder vor dem »Kickern« erst aufzuräumen. Emsig, nachdem alles gespült und aufgeräumt ist, fegt sie den Boden und wischt ihn anschließend blitzsauber. Ich bin davon beeindruckt, wie sie die Anderen ansteckt mitzuhelfen.
Ich frage Larin, woher sie das Putzen so zügig und routiniert beherrscht. Empört entgegnet sie mir: »Zu Hause muss ich das immer machen«. Nur die Toilette zu putzen gefällt ihr nicht. Selbstbewusst und bekräftigend steht sie hinter den Worten ihrer Mutter – die könne bei so vielen Kindern ja nicht alles alleine machen. Ich erinnere mich auch an das Turnier, das für die Jungs Anfang Juli im Wohnheim ausgerichtet worden ist. Immer wieder fragt Larin, wann denn endlich auch mal ein Turnier für die Mädchen ausgetragen wird.
Am Abend wird zur großen Enttäuschung der Kinder aufgrund des Wetters das geplante Public Viewing abgesagt und Larin fängt an zu weinen. Diese Reaktion kenne ich nicht von ihr. Sie schimpft auf ihren Vater: Er habe arabisches Fernsehen eingestellt und seitdem könnten sie kein deutsches Fernsehen mehr anschauen. Somit beschließen wir das Spiel zu zweit in der Stadt anzuschauen. Einverstanden bietet sie mir ihre Dusche an und gibt mir Duschutensilien. Sie fragt mich, wieso ich das Wasser zwischendrin ausmache. Sie würde es immer genießen so lange wie möglich unter heißem Wasser zu stehen – ich grinse ihr zustimmend zu. Sie hat sich in der Zwischenzeit geschminkt und ihrer Mutter gesagt, dass wir zusammen in die Stadt gehen. Wir freuen uns zusammen über den deutschen Sieg.
Bei einem von ihr spendierten Eis erzählt sie mir, wie es ist mit ihren Geschwistern auf so engem Raum zusammen zu leben. Sie müssten viele Kompromisse eingehen. Ihre älteste Schwester muss morgens um sechs Uhr aufstehen und will abends als Erste schlafen. Es gibt dann Streit, wann das Licht ausgemacht wird, über den Rummel im Zimmer und natürlich mit den Brüdern. Ihre Schwester würde sich morgens lange schminken und sei sehr hübsch. Aber sie dürfe keinen Freund haben, erzählt Larin. »Und?«, frage ich, »fällt ihr das schwer?« Das sei halt so, antwortet Larin. Auch für sie selbst sind Jungs häufig ein Thema und sie legt viel Wert auf ihr Äußeres. Ich stelle mir dies sehr schwierig vor: Konfrontiert zu sein mit der Heimatkultur der Eltern – ihren Ansprüchen, Werten, Haltungen und auf der anderen Seite dem Fußfassen in dieser westlichen und durch Selbstbestimmung geprägten Welt.
Am Abend begleitet sie mich auch noch zu einem Chorkonzert. Wir betreten einen vornehmen Raum mit Sektempfang und schön dekorierten Tischen. Ich erkläre ihr, dass Musikstudenten an diesem Tag ihre Eltern eingeladen haben, um ihnen die neu einstudierten Stücke zu präsentieren. Immer wieder schaut sie mich an und muss lachen: Über das Latein, die gerührten Eltern und Caroline, die schon mal mit uns Fußball gespielt hat und in diesem Moment ein Solo singt.
»Nun, was ist Kindheit für dich Larin?« – »Man sollte viel mit Kindern unternehmen, damit sie einen Ausgleich zur Schule haben.« Nachdenklich werde ich und denke mir: Ja und ein kurzes Vergessen von fehlender Privatsphäre und den erdrückenden Nachrichten über ihre verschleppten Verwandten im Irak. »Und was willst du einmal werden?« Sie grinst. »Fußballerin«. Das ist der ganz große Traum vieler Kinder und Jugendlicher im Flüchtlingswohnheim. Dort sehen sie eine Chance für sich – ein Messen auf Augenhöhe. Es sind die Extreme von Realität und Traum, die darin sichtbar werden.