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Austausch heißt voneinander lernen

Granada – Freiburgs andalusische Partnerstadt

»Blick von Albaicín auf Alhambra und Sierra Nevada. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Eine Reportage von Carmen Luna und kwasibanane.

Wir nähern uns Granada von oben. Die Lage am Fuß der schneebedeckten 3½ Tausender der Sierra Nevada beeindruckt. Die Stadt hat mit ca. 250 000 Einwohnern eine ähnliche Größe wie Freiburg, wirkt aber größer. Freiburg und Granada sind seit 1991 Partnerstädte und mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden können sie viel voneinander lernen. Die beiden Theaterleute Pablo Ramírez und Lina Montabes, der Student und Musiker »El Callejero« und der weltbekannte Streetart Künstler »El Niño de las Pinturas« öffnen uns den Blick in ihre Stadt.


Pablo Ramírez und Lina Montabes. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Lina und Pablo

»Ich liebe Granada«, sagt Pablo Ramírez. »In Granada muss man sich einfach verlieben«, bestätigt Lina Montabes, seine Frau. – Warum, frage ich. – »Mir gefallen Ästhetik, Architektur und am meisten das kulturelle Flair der Stadt: Ausstellungen, Musik, Theater...« Lina fügt hinzu: »Du hast Stadtviertel wie El Realejo, zentral gelegen und dennoch ruhig; oder El Albaizín, die Altstadt mit ihren engen Gassen, von dort sieht man die Alhambra; oder du gehst mit Freunden nach Sacromonte aus und lässt es dir gut gehen. In einer halben Stunde bist du am Meer. Das einzige was hier nervt ist der Verkehr, aber das wird gerade besser.«

Lina und Pablo sind beide in Granada geboren. Pablo ist Schauspieler und Regisseur, außerdem spielt er leidenschaftlich Schach. Lina arbeitet als Rechtsanwältin für die Gewerkschaft. Was sie in ihrer Freizeit macht? »Theater spielen«, sagt sie, »das liebe ich über alles. So habe ich Pablo kennen gelernt.«

2010 besuchten Lina und Pablo Freiburg. Pablo war im Rahmen eines Austauschs an einer Fotoausstellung beteiligt, die den Blick von innen und von außen auf die beiden Partnerstädte thematisierte.

Welche Eindrücke habt ihr von Freiburg behalten? »Mich hat die Bewegung auf den Straßen fasziniert«, erzählt Pablo. »Wenn eine Straßenbahn kommt, machen die Menschen Platz; ist die Straßenbahn vorbei, dann füllt sich der Raum wieder ganz natürlich. – In Granada undenkbar.«

Lina erinnert sich an die Altstadt: »Da gibt es keine Autos ... und die Straßenpflaster erinnern mich an die von Granada; die Gotik der Kathedrale mit diesem rötlichen Sandstein hat mir sehr gefallen.« Pablo ergänzt: »Und die Temperatur ist wunderbar. Mir war nie kalt, obwohl wir im Januar da waren.«

In Granada lebten Juden, Christen und fast 800 Jahre stand der Süden Spaniens unter islamischer Herrschaft, was ein reiches Erbe hinterlassen hat. Wie beeinflusst diese kulturelle Vielfalt euer Leben? »Meine kulturelle Identität hat viele Facetten, meine Abstammung ist arabisch. Und ich spüre die Präsenz anderer Kulturen. Ich fühle mich eher arabisch als christlich. Das hat nichts mit Religion zu tun, doch da ist eine sehr starke Basis, vor allem musikalisch. Aus der maurischen Zeit sind uns Städte- und Straßennamen geblieben; ca. 20 Prozent des spanischen Wortschatzes hat arabischen Ursprung … und die Architektur, das Kunsthandwerk, all das ist Bestandteil unserer Stadt und selbstverständlich auch meiner Kultur. Die Alhambra ist ein wahnsinnig großer Reichtum. Sie prägt unsere Stadt in besonderem Maße und zeigt die ganze Pracht der muslimischen Kultur.«

Pablo Ramírez und Lina Montabes. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Was bedeutet der Flamenco für einen Granadino? »Der Flamenco ist für jeden Andalusier sein kulturelles Erbe. Er ist eine Verschmelzung verschiedener Kulturen«, erklärt Pablo. »Er wurde weder von den Gitanos noch von den Juden geschaffen, auch nicht von den Payos. Er ist wie ein Topf, in dem sephardische Musik, muslimische und christliche Gesänge, die Gefühle der Gitanos und deren Art zu singen, köcheln; aus dieser Mischung entsteht der Flamenco.« – »Mir bedeutet der Flamenco sehr viel. Er ist unsere Musik. Flamenco ist Emotion pur«, ergänzt Lina.

Sacromante, um barrio de los gitanos. Foto: kwasibanane

Sacromante, um barrio de los gitanos. Foto: kwasibanane

»Die Gitanos haben eine ganz eigene Art zu leben, eine andere Kultur«, erzählt Lina. »Beim Feiern merkt man das am meisten. Wir Payos treffen uns, wir gehen in die Disco. Sie machen das anders, sie bleiben eher unter sich. Ich bin auf Gitano-Festen gewesen, das waren die besten, die ich je besucht habe. Aber du musst von einem von ihnen eingeladen sein. Sie tanzen mehr, klatschen und animieren die Tänzer und Sänger. Sie sind fröhlich und können gute Witze erzählen.«

Und zur Partnerschaft mit Freiburg meint Lina: »Ich würde gerne mehr über Umweltschutz von Freiburg lernen und mich austauschen, Granada hat das Thema ziemlich vergessen.« Pablo ergänzt: »Kulturellen Austausch finde ich auch wichtig. Was macht Freiburg? Was machen wir hier?«

Durch lebendige Beziehungen zwischen Partnerstädten wachsen Verbindungen und Freundschaften. Seit unserer gemeinsamen Fotoausstellung 2010 treffen wir uns immer wieder und Granada ist ein Teil unserer Welt geworden.


El Callejero Pablo Montabes. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

El Callejero Pablo Montabes

»Ich mag Gesang, Kunst, Literatur, Geisteswissenschaften. Ich liebe das Wissen, und ich würde gerne sehen, wie vieles in unserer Gesellschaft besser wird. Ich sehe mich als junger Träumer, der nach Veränderung strebt.« Das ist die Antwort auf die Frage, wer Pablo Montabes ist.

Pablo studiert Romanistik an der Universität von Granada. Eine der bedeutendsten Unis Spaniens mit mehr als 60 000 Studierenden hüllt die Stadt in ein junges Flair – noch eine Gemeinsamkeit mit Freiburg.

»Uns jungen Menschen wurde verkauft, dass du mit einem Studium schon deine Zukunft gesichert hast. Aber du studierst und weißt genau, dass die Zukunft sehr unsicher ist. Es gibt ein paar Jobs, aber schlecht bezahlt. Ich habe mal für einen Verlag ein Literaturbuch korrigiert. Sie haben 50 Cent pro Seite gezahlt.«

Pablo arbeitet neben dem Studium in einer Bar für sechs Euro in der Stunde. »Zehn Stunden Arbeit am Tag. Du fängst morgens um zehn an. Am Ende bist du fertig. Ich glaub, das bringt mich nicht weiter.«

Ich frage ihn, ob er bereit wäre, Granada zu verlassen. »Ja«, antwortet er, obwohl er davon träumt zu bleiben: »Ich würde gerne in meiner Stadt leben und mich hier verwirklichen. Ich brauche keinen großen Luxus, aber ich will nicht ständig ans Überleben denken müssen. Leider geht es für 60 bis 70 Prozent der jungen Leute hier ums Überleben.« Hat Granada auch Vorteile? »Vorteile? – Viele. Als Student hast du viel Spaß. Es fehlt nie an Partys. Die Atmosphäre an der Uni ist gut. Sie ist sehr multikulturell und bietet viel Raum für Austausch von Ideen.«

Pablo ist Sänger. Ich frage ihn welche Wichtigkeit das Singen für ihn hat. »Die Kunst, das Singen ist das, was mich innerlich bewegt. Es ist das, was ich in meinem Leben machen möchte. Leider wird die Musik immer mehr kommerzialisiert. Man ist dabei eine mittelmäßige Kunst zu schaffen. Ich möchte verschiedene Werte und Musikstile rüber bringen. Ich habe mit Jazz angefangen, aber ich verschließe mich nicht hinter einem einzigen Genre. Kunst ist voller Visionen und das will ich zum Ausdruck bringen. Singen, bis die Seele erklingt, wie Camarón sagte«.

El Callejero bei der Arbeit. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Du arbeitest auch als Straßenmusiker, daher der Name El Callejero. »Ja, seit fast vier Jahren singe ich auf der Straße. Die Menschen sehen nicht, wieviel Arbeit dahinter steckt. Ich singe seit meinem 15. Lebensjahr, d. h. jeden Tag drei bis fünf Stunden Üben. An manchen Tagen erlebst du schöne Dinge, an anderen ist es entmutigend. Kunst, Theater, Musik müssen etwas Einmaliges sein. Das vergessen die Menschen oft.« Was fühlst du, wenn du singst? »Weite, Freiheit, manchmal Sehnsucht.«

Hast du viele Freunde? »Ich habe Glück mit meinen Freunden. Wir kennen uns seit dreizehn, vierzehn Jahren. Meinen besten Freund kenne ich, seit ich sieben Jahre alt war. Wir teilen Ideen, Philosophie, wir sind gegen Autoritarismus, uns ekeln Rassismus, Faschismus, Diskriminierung, Machismus. Meine Freunde sind ehrliche, authentische Menschen.«

Studentisches Flair in Albaicín . Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Pablo bietet uns einen Stadtbummel an. Er nimmt uns mit zur Plaza de Carbajales in Albaicín. Das sind seine Straßen, Straßen, in denen er schon als kleiner Junge unterwegs war. Schöne enge arabische Gassen führen uns weiter nach oben, und wir hören Pablos Begeisterung: »Mich fasziniert der Zauber meiner Stadt. Wir sind in der Sierra – der Magnetismus, die Energie, die sie hat, fängt dich ein.«


Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

El Niño de las Pinturas

Wer in Granada eine Runde in El Realejo dreht, wird die eindrucksvollen Wandbilder entdecken. Manche von ihnen schmücken den Stadtteil seit mehr als fünfzehn Jahren und sie werden immer wieder durch neue Werke ergänzt. Hier lebt und arbeitet Raúl Ruiz alias El Niño de las Pinturas, das ist sein Kiez.

»Als ich klein war, entdeckte ich die Möglichkeit auf der Straße zu malen. Zusammen mit ein paar Freunden habe ich unsere erste Zeichnung auf die Straße gemacht. Das ganze Stadtviertel El Zaidín kam, und alle haben uns beim Zeichnen geholfen. Da habe ich gemerkt, ich kann die beiden Dinge, die mir am meisten gefallen, zusammenbringen: Zeichnen und Miteinander-Teilen.«

Damals war er dreizehn und El Zaidín war sein erster Wohnort in Granada. Mit fünf war er mit seinen Eltern von Madrid hergezogen. »Ich hatte Glück mit dem Barrio, in dem ich aufgewachsen bin. Alles hinter meinem Haus war ein Spielplatz: Felder, verlassene Häuser, der Fluss …«

Dann bist du also ein Granadino geworden? »Ja, Granada war kleiner, Zaidín auch. Es vermittelte immer das Gefühl von einem großen Dorf. Du konntest alles zu Fuß erledigen und ohne Geld – weil du die Leute kennst. Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl wie in einer Großstadt.«

Hier trifft man sich zu Besprechungen meist in einer Kneipe zu einem Bier mit einer Tapa. Wir sitzen in einer Bar am Rand des Campo del Príncipe mit vielen Bäumen und gemütlichen Bänken. »Ich mag dieses Viertel«, sagt Raúl, »es hat einen geschäftigen Teil, wo sich die Leute treffen. El Campo del Principe ist ein Park, der Platz für alle hat: Menschen die hier geboren sind, Junkies, Verrückte, Familien, Kids... Du kannst dich neben irgendjemand setzen, eine Dame oder einen älteren Herrn, und ein Schwätzchen unter der wärmenden Sonne halten – ein Platz für Alle.«

Du hast Kunst studiert? »Ja, aber nur, weil ich nicht zum Militärdienst wollte. Sicher habe ich da was gelernt, doch die Straße und die Kollegen sind es, die mir am meisten beibringen. Als ich in die Streetart-Welt eintrat, nannte ich mich ›Sex69‹ und zehn Jahre später gab ich mir den neuen Namen ›El Niño de las Pinturas‹«

Warum ›El Niño de las Pinturas‹? »Wir hatten eine Streetart-Gruppe, die hieß ›Los Niños del Demonio‹, da gab es einen ›El Niño de la Última Palabra‹ und ich war el de las Pinturas. Das hatte mit kindlichen Wesenszügen zu tun: Neugier, Unschuld, Kraft. Die Gruppe verlor ein wenig an Bedeutung, doch ich behielt den Namen.«

Hast du einen Stil? »Ja, ich nannte es früher mal ›Realismo Corrosivo‹ Warum ›corrosivo‹? »Weiß nicht, so heißt das halt.« – Ich hake nach. Aber unter corrosivo stelle ich mir etwas vor, was kaputt geht. »Ja, wie alles, was es hier gibt. Dann ermöglichst du, dass etwas Neues entsteht. Das ist der unvermeidliche Wandel, das einzige was dauerhaft ist.«

Was möchtest du mit deinen Bildern vermitteln? »Das einzige, was ich auf der Straße vermitteln will, ist das, was mich in diesem Moment besorgt. Mich berühren soziale Themen: Gleichberechtigung, Rassismus, Fremdenfeinlichkeit, Machismus. Das alles beschäftigt mich. Es ist gut, Werte, die gerade verloren gehen, zu vermitteln: Respekt für ältere Menschen, Respekt für Kinder, Respekt für alle.« Raúl malt Kinder, junge Leute, alte Menschen, auch Tiere und er schreibt gerne Sätze in seine Bilder in einer für El Nino de las Pinturas unverwechselbaren Typografie.

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Was beschäftigt dich zur Zeit? »Es gibt ein Thema, das mich zu jucken beginnt: Selbstmord. Das Schweigen in diesem Land zu zahlreichen Suiziden tut mir weh, auch weil ich gerade so etwas erlebt habe. Sicher finde ich einen Weg, um das zum Ausdruck zu bringen. Das auf eine Wand zu bringen ist für mich eine Art, mich mit dem Thema auseinander zu setzen – nicht zu vergessen.«

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas in Realejo. Foto: kwasibanane

Zum Austausch mit anderen Graffiteros aus aller Welt, mit denen er immer wieder zusammen arbeitet, erzählt Raúl: »Wichtig ist nicht die Wand, auch nicht das, was du malen wirst. Wichtig ist, dass du mit Kollegen zusammen bist – zu wissen, dass du einen angenehmen Tag vor dir hast. Und plötzlich fängst du an zu malen; ganz ohne Druck entstehen bessere Sachen.«

Raúl hat Wände an vielen Orten Spaniens und in der ganzen Welt bemalt. Las pinturas del Niño sind weltbekannt. Er hat in Mexiko, Venezuela, Ecuador, Argentinien und der Dominikanischen Republik gemalt. In Südafrika, Simbabwe und Marokko. In verschiedenen Städten der USA. In Italien, Frankreich, Portugal, Ungarn, Belgien und Deutschland. Sein größtes Mural befindet sich auf Fuerteventura, 500 Meter lang. Wie viel Zeit brauchst du für so was? »Einen Monat, aber dafür fertige ich vorher Skizzen an.«

Irgendwann wieder wird El Niño de las Pinturas mit seinen Spraydosen aufbrechen, um die Stadt, die er liebt und die ihn inspiriert, freundlicher und farbiger zu machen, um Licht ins Dunkel zu bringen und um seine Gedanken frisch auf Wänden aufzutragen: »El mundo está oscuro, ilumina tu parte«.

⏹ www.elninodelaspinturas.es

Arte Urbano von El Niño de las Pinturas an einer Bushaltestelle in Granada. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane


Freiburg und Granada können sie sich gegenseitig bereichern und inspirieren. Wie wäre es mit einem Konzert mit El Callejero oder einem Mural von El Niño de las Pinturas in Freiburg?

Un bar del barrio, Granada Realejo. Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

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