Stolz auf den blauen Ausweis
Farhad Vakof – ein Weltbürger gegen Religionisierung
Von Vera Bredova
Das Geschäft Donya in Littenweiler ist sonnig gelb gestrichen, und auch die Kunden werden hier mit einem sonnigen Lächeln empfangen, manche mit Namen begrüßt. Eine deutsche Stammkundin entdeckt auf der Theke neben Couscous, indischen Tees und Wasabi plötzlich etwas, das sie früher nie bemerkt hat. »Was? Haben Sie Alkohol?« – »Warum denn nicht?«, fragt höflich der Besitzer. »Sie sind doch Muslim und dürfen nicht trinken!« – »Ich esse auch nicht alles, was ich verkaufe, ich bin nur ein Geschäftsmann hier«, antwortet Farhad Vakof.
»Es ist leider immer öfter der Fall, dass Kunden mich als Muslim ansprechen. ›Islamisierung‹ bedeutet für mich auch diese Klischees: Wenn man aus dem Iran, der Türkei oder Bosnien kommt, muss man Muslim sein, und wenn man aus Serbien stammt, ist man automatisch ein orthodoxer Christ. Wir könnten es auch allgemein eine ›Religionisierung‹ nennen.«
Sein Geschäft wurde nicht als kulturelle Enklave gedacht: Donya – das heißt Welt – Waren aus aller Welt. »Mezdunarodnyj«, sagt Farhad plötzlich auf Russisch. Im Iran hat er die Sprache gelernt – »in den schlimmsten zehn Jahren meines Lebens«, sagt er.
Damals, nach der Iranischen Revolution 1979, ist er aus den USA, wo er Architektur studiert hatte, zurückgekommen, in der Hoffnung, ein neues und demokratisches Land mit aufzubauen. »Dann kam der Bürgerkrieg. Sie haben gewonnen. Und wir – die Verlierer – suchten jeder ein Mauseloch, um uns zu verstecken.« Farhad Vakof war einer von den wenigen, die es geschafft haben, weil seine Familie nicht arm war und ihm helfen konnte. »War ich feige? Viele sind weiter gegangen, sie haben sich entschieden, frei zu leben, aber dafür kurz. Viele Kameraden, Freunde, Frauen und Männer in verschiedenem Alter sind längst tot. Ich lebte mit einem falschen Ausweis in völliger Isolation … Ich war nicht im Gefängnis, aber es war wie ein Gefängnis.« Damals hat er angefangen Russisch zu lernen. »Wie eine tote Sprache, ohne Phonetik, einfach nur um mich zu beschäftigen und um Bücher über die Russische Revolution zu lesen«.
Die ersten Jahre in Deutschland, nach der Auswanderung 1990, fühlte er sich nicht lebendig. »Wenn ich die Polizei sah, diese harmlose Polizei hier in Deutschland, kamen die Erinnerungen. Warum bin ich hier geblieben, wieso bin ich nicht mit meinem Englisch nach England oder zurück in die USA? Ich hatte eine Depression«. – »Sie müssen einen Beruf lernen«, sagte man im Arbeitsamt – »Ich habe einen«, antwortete er dann, »ich bin Politiker, deshalb bin ich hier!« – »Aber für Politiker aus dem Iran hatten sie keine Stelle«, lacht Farhad.
»Ich habe immer noch meinen blauen Reiseausweis für Flüchtlinge, und ich will keine Staatsbürgerschaft beantragen. Es gibt auch Menschen, die wegen Ausbildung oder Arbeit hier sind. Das ist kein Problem, alle Arbeitsagenturen empfehlen Mobilität – dann wieso nicht weltweit? Aber meine Identität, die kann ich nur mit diesem Ausweis demonstrieren: Ich bin hier aus Protest gegen den im Iran herrschenden Islamismus. Ich weiß, wie auch viele andere Flüchtlinge heutzutage, was das heißt, nicht freiwillig hier zu sein.«
Bis 2001 lebte Farhad in Köln und machte eine Ausbildung nach der anderen: Zum Technischen Zeichner, zum Software-Entwickler, doch er bekam keinen sicheren Job. Trotz seiner guten Zeugnisse wurde er mit 30 als zu alt eingeschätzt oder als Iraner (sagte man ihm einmal direkt) nicht genommen.
Dann zog er nach Freiburg, hat in einem Lebensmittelladen gearbeitet und schließlich vor acht Jahren ein eigenes Geschäft eröffnet, zusammen mit seiner Frau Karin Pinkus, die er in Freiburg kennengelernt hat. Beide lieben Bücher und lange Spaziergänge. »In einer interkulturellen Familie zu leben ist kein Problem, wenn man Weltbürger ist. Und ich bin einer, ich vermisse nichts aus dem Iran.« In seiner Lage erlaubt er sich nicht mal, daran zu denken, ob er seine Eltern vermisst. In den Iran darf er nicht reisen. »Ich gehe bewusst so mit meiner Psyche um. Ob ich nicht doch irgendwann scheitere und so wie manche mit 70 plötzlich wieder gläubig und heimattreu werde, weiß ich nicht … Aber im Moment sehe ich bei mir keine Anzeichen«, lacht Farhad. Was ihn mit dem Iran verbindet, ist das Schreiben: »Warum scheitern wir? Warum hat die Modernisierung sich nicht durchgesetzt? Ich versuche, diese Fragen zu beantworten. Ich behaupte nicht, dass ich mit meinem Schreiben und dem Blog was ändere, aber wir sind 70 Millionen dort, und fünf Millionen Ausgewanderte, die meisten davon Akademiker, da kann jeder was machen.«
Der Laden bedeutet viel Arbeit: Um halb fünf aufstehen, einkaufen, die hausgemachten Delikatessen vorbereiten, abends dann bis 19 Uhr aufräumen. Kein Urlaub in diesen acht Jahren. »Wir sind gezwungen, so zu leben. Aber wir sind hier frei, unsere eigene Chefs!«
Bei Iranern ist Höflichkeit sehr wichtig, und das Verhalten vielsagender als manches andere. Höflichkeit beim Service war eine Sache, die Farhad in den ersten Jahren in Deutschland vermisste. Es ist etwas, das er seinen Kunden sehr gern anbietet – und dazu Qualität – seine handgemachten Aufstriche, Granatapfeloliven und selbst eingelegten Käse schmecken hervorragend – einige Stammkunden kommen deshalb extra aus anderen Stadtteilen zu ihm gefahren.
Die meisten Kunden in Littenweiler denken, dass sie Nebenkunden sind, und die meisten, die hier kaufen, Ausländer. Aber das stimmt nicht – die Kundschaft ist fast ausschließlich deutsch. Farhad wäre es lieber, wenn die Käufer gar nicht fragten, woher er kommt. Aber oft versucht man ihn einzuordnen: Pakistani, Afghane, Türke? Sogar die Bayerin Karin halten manche Kunden für eine Türkin, die einfach nur ein etwas besseres Deutsch spricht als er. Oder man kommt rein, schaut ihn nicht an, spricht nur mit seiner Frau, weil man davon ausgeht, dass er überhaupt kein Deutsch versteht. »Das macht mich krank, und dann sage ich blöde Sachen.« Einmal fragte eine nette alte Kundin, ob er nicht Afghane ist. Die Afghanen seien so poetisch. »Im Gegenteil,« hörte er sich plötzlich sagen – »Dichtung ist, was ich am wenigsten mag.« Solche Situationen bereut Farhad im Nachhinein. »Ich glaube, ich muss mich ändern. Alle Afghanen sind poetisch? Echt? Aha, soso … Zumindest aus geschäftlichen Gründen könnte man so reagieren. Aber das zu können, die Energie für sowas zu haben, das kann man nicht immer. Manchmal ist es zu viel, manchmal geht es zu weit, dann versuche ich, die Geduld zu bewahren und immer höflich zu sagen: ›Ich bin kein Afghane, die Theke ist nicht türkisch, und wir sind hier nicht islamisch, wir sind keine Muslime‹.«
Doch Farhad und Karin sind sich einig: Der Stadtteil ändert sich, in den letzten Jahren gibt es immer mehr Leute, die sich wirklich für andere Kulturen interessieren. »Nur diese Errungenschaften in Deutschland nicht verlieren, damit das Land sich weiter öffnet und nicht von Vorurteilen und von Feindschaften ohne Grund manipuliert wird«, meint Farhad, der sich selbst auch verändert: »Konvertierte sind schlimmer als die Ursprünglichen. Ich bin als konvertierter Deutscher viel strenger. In Frankreich kritisiere ich immer dieses Chaos, diesen Verkehr: Was ist das hier überhaupt? Da lache ich dann über mich selber – ohne es zu merken, habe ich schon ganz schön viel von hier übernommen.«